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SE VENDE

Sonntag, 29. Mai 2017 | Dénia

Ich darf mich glücklich schätzen hier oben am El Montgo, dem Hausberg von Dénia, wo ich die meiste Zeit meiner diesjährigen Rauszeit verbringe. Ein wahres Bijou, das ich mehr und mehr zu schätzen weiss. Dénia ist ein bezauberndes Städtchen. Auch wenn ich mich langsam auszukennen glaube, gehe ich nach wie vor mit offenen Augen durch die Strassen und Gassen und entdecke dabei immer wieder Neues.

Schon ganz zu Beginn viel mir aber eines immer wieder auf: «SE VENDE». In fetten Lettern und mit Telefonnummer darunter, steht es an unzähligen Häusern und Wohnungen unterschiedlichsten Baustils und Zustands. An schmucken Stadtwohnungen, netten kleinen Villen mit Pool und sogar an Rohbauten, «SE VENDE» scheint vor nichts halt zu machen. Und auch, wenn man nicht viel Spanisch kann, versteht man schnell, was das zu bedeuten hat. Sind die Menschen, die hier überall wohnen sollten, alle abgehauen oder gar nie gekommen? Wie kommt es, dass hier so viel Bauruinen rumstehen? Während die einen Häuser noch nicht mal Wände haben, fehlen anderen eigentlich nur noch die Fenster, wieder andere wurden zwar mal bewohnt, scheinen aber bis zur Wertlosigkeit vernachlässigt. Das Interesse scheint so gering zu sein, dass sogar die «SE VENDE»-Schilder an gewissen Hauseingängen bis zur Unleserlichkeit von der Sonne verbleicht sind. Im Städtchen hat es an jeder Ecke ein Immobilienbüro, in etwa in der Dichte, wie bei uns in Luzern Coiffeur-Salons, doch auch da habe ich noch nie einen Mensch drin gesehen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise erwischte Dénia offenbar in einem Moment, indem der Tourismus blühte und zum blinden investieren in Immobilien verlockte. Geblieben sind tiefe Narben, in Form von ganzen Häuserreihen, die leer stehen. Fixfertig, aber nie bewohnt. Stellt euch mal vor ihr nehmt all euer Erspartes, steckt es in ein Ferienhäuschen an der Costa Blanca, erfüllt euch einen Lebenstraum und freut euch auf die künftigen Ferien mit Kind und Kegel in Spanien. Ihr malt euch aus, wie ihr euch mit den netten Nachbarn abends zum grillen trefft, die Männer diskutieren über Fussball, die Frauen tauschen Gala und Glückspost aus und die Kinder plantschen fröhlich im Pool. Blöd nur, wenn das Häuschen nebenan gar nie jemand kauft, weil dem Investor noch bevor er die Fenster einbauen konnte, das Geld ausging oder weil es einfach zu viele sind. Der Pool ausgetrocknet, der Garten von Unkraut übersät – schöne Ferien. Immerhin, das Meer ist nicht weit.

Der Immobilienboom reichte aber weiter als nur am Meer entlang. Auf der Fahrt in die nächstgrössere Stadt fällt mir von der Autobahn aus ein dicht überbauter Hügel, mitten im nirgendwo, auf. Spanier bewohnen keine neu gebauten Reihenhäuschen. Auch das müssen Ferienhäuschen sein. Nur, wenn die Häuschen in der Nähe vom Meer schon keine Abnehmer finden, wer soll sich denn eines auf dem Land, auf einem Hügel mit Blick auf die Autobahn und – naja – andere Hügel kaufen?! Leider scheint das nicht die einzige verlassene Häusergruppe zu sein, an der ich an dem Tag via Moreira und Calpe, nach Benidorm vorbeifahre. Wie viele Baugesuche kann man eigentlich unterzeichnen, bis man hinterfragt, ob es überhaupt so viel Wohnraum braucht? Blind, blöd oder einfach korrupt? Online lese ich später in veralteten Foren von 2013 von den Geisterurbanisationen an der Costa Blanca. Da werden meine Spekulationen mit Hobby-Fachsimpeleien und Fotos bestätigt. Aktuellere Beiträge finde ich nicht. Man scheint sich damit abgefunden zu haben. Und wer sich vor zehn Jahren hier über den Tisch ziehen liess und so ein Häuschen gekauft hat, hängt das wohl auch lieber nicht an die grosse Glocke.

Umso mehr schätze ich die kleine Oase hier. Mit dem Casa Clarimar wurde ein Traum verwirklicht, der bis heute anhält. Vor etwas mehr als 20 Jahren wurde hier im Grünen, auf einem kleinen Stück Land ein bescheidenes Haus gebaut. Eines, und nicht gleich eine ganze Kolonie, um sie an andere Touristen zu verkaufen und das grosse Geld zu machen. Eines, das bis heute geschätzt und gepflegt wird und wo man beste Aussicht auf’s Meer geniesst, die einem Niemand mehr nehmen kann.

Mit Spaniens Wirtschaft scheint es zwar wieder bergauf zu gehen, aber das füllt die leerstehenden Häuser wohl nicht und bringt auch den zerstörten Lebensraum nicht zurück.

Der Gipfel von «SE VENDE» steht übrigens in Benidorm. Mehr dazu in meinem nächsten Beitrag.

verfasst von Albi Christen