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Fördert Langeweile die Kreativität?

Mittwoch, 24. Mai 2017 | Dénia

Wow, schon drei Wochen meiner Rauszeit sind um. Ich dachte, das wird sich länger anfühlen, wenn ich nicht vom Trubel einer Grossstadt umgeben bin. Ich hatte sogar ein bisschen Angst, ich könnte mich nebst der Arbeit langweilen. Das war aber bislang nicht so. Wobei, vielleicht putze ich ja aus Langeweile fast täglich den Pool? Obwohl ich kaum schwimmen gehe. Es hat was Meditatives, mit dem Fischernetz knapp an der Wasseroberfläche um das nierenförmige Becken zu spazieren und Blätter und Mücken zu fischen. Vielleicht habe ich aus Langeweile die Boccia-Bahn unterhalb vom Haus von Unkraut und Laub befreit? Und dann doch nie mit mir selbst Boccia gespielt, obwohl ich immer gewinnen würde. Vielleicht koche ich meistens selber, weil’s mir sonst langweilig wär? Obwohl es mich nicht wirklich mehr kostet, wenn ich mir im Städtchen mit Tapas den Bauch vollschlage.
Nein, ich glaub Langeweile gibt’s hier nicht. Jedenfalls bis jetzt. Es gibt genug zu tun nebst meiner Arbeit und dazu zählt auch einfach mal an der Sonne liegen und die Gedanken ziehen lassen. Oder die Ameisen neben dem Liegestuhl beobachten. Schon faszinierend, was die alles mit sich rumschleppen. Ich glaube zu wissen, dass Ameisen das hundertfache ihres eigenen Körpergewichtes tragen können. Was, wenn ich einen Stein auf den Eingang ihres Bau's zwischen den Bodenplatten lege? Keine Angst, ich quäle keine Ameisen. Ich spiele nur «höhere Gewalt» und ich kann euch sagen, die Ameisen wissen damit umzugehen, indem sie den Stein diskussionslos zur Seite ziehen. So, als wenn ich mit fünf Freunden mal eben einen entgleisten Zug aus dem Weg ziehen würde. Fasziniert liege ich mit verdrehtem Kopf zirka 30cm über dem Eingang zum Ameisenbau, im Liegestuhl. Das muss man sich mal geben. Das ist quasi ein Live-Dokumentarfilm. Schräg wird’s erst, als ich merke, dass ich in Gedanken die Szene vertone und mir Ameisendialoge ausdenke. Nein, ich fühle mich nicht gelangweilt. Ich tu ja was. Und das ist erst noch kreativ.

Ich beginne mir mehr und mehr Gedanken zu machen darüber, ob jetzt Langeweile gut ist oder schlecht? Ob Langeweile sogar die Kreativität fördert? In der Schule sagte man mir, ich sei ein «Träumer» und ich wurde dafür gerügt. Andererseits wurde ich für meine Kreativität gelobt. Hat das sogar einen direkten Zusammenhang? Bei mir kam scheinbar oft Langeweile auf. So ging ich meinen eigenen Gedanken nach oder zeichnete Karikaturen und Comics meiner Lehrer. Ich hatte also nichts anderes getan, als die Zeit, in der ich mich sonst gelangweilt hätte, für Kreatives zu nutzen. Was ja nicht grundschlecht ist. Als Kind ist man nie lange im Zustand der Langeweile. Man findet schnell Ablenkung und die ist meistens kreativ, weil man sich mit den Möglichkeiten begnügt, die man halt grad hat und daraus mehr macht. So ist ein Schirm plötzlich ein Sebel und das Bett ein Piratenschiff. Als Erwachsener darf man sich nicht Langweilen. Wer nicht offensichtlich was tut, gilt als faul, meint die Gesellschaft. Wenn ich aber, alleine im Restaurant sitzend, aus Langeweile aufstehe, mit meinem Schirm rumfuchtle und wie ein Pirat fluche, macht sich das auch nicht gut.

Weil ich also Langeweile als unangenehm empfinde und nicht überall Kind sein kann, versuche ich es gar nicht soweit kommen zu lassen. Wie oft hab ich mich die letzten Tage dabei erwischt, wie ich aus Angst, es könnte Langeweile aufkommen, mein Handy genommen hab, um mir sinnloses Zeug wie Sonnenuntergänge, Essen oder «Lebensfreude» von nicht-gelangweilten Freunden auf Facebook anzuschauen, obwohl ich das alles direkt vor meiner Nase habe!? Moment. Muss ich das jetzt auch auf Facebook posten? Nein!

Wir haben heute so viele Möglichkeiten, uns einfach und unüberlegt abzulenken, dass wir uns der Herausforderung, die uns die Langeweile schenkt, nur noch selten wirklich annehmen und sie auch nicht mehr zu schätzen wissen. Dabei ist diese Zeit unglaublich wichtig und nützlich. Natürlich kann ich mir auch bewusst Zeit nehmen und sie «Musse» nennen. Kommt sie aber unerwartet und ich weiss sie für mich zu nutzen, gewinn ich Zeit. Früher hatte ich davon definitiv mehr. In genau diesen «toten» Zeiten spürte ich Kreativität aufkommen und wurde unglaublich produktiv. Heute erstick ich das zu oft mit Social Media und Netflix. Bewusst war mir das schon immer irgendwie, aber ich erkannte nicht mehr, was mir entgeht.

Langeweile schenkt uns also Zeit. Für was wir sie nutzen ist uns überlassen. Ich hab mich heute dafür entscheiden, diese Zeit wieder aktiver und kreativer zu nutzen. So wie jetzt grad mit dem schreiben dieses Beitrags.

Sicher gibt es einige gute Bücher zu dem Thema. Eure Tipps nehme ich gerne entgegen. Und keine Sorge. Ich mach jetzt nicht einen auf Anti-Social-Media-Apostel. Schliesslich sind ja die meisten, die das lesen über Social-Media hier gelandet und wer es bis hierhin in diesem Text geschafft hat, interessiert sich für mehr als nur für das Video mit den Ameisen. Jedenfalls ist mir mal wieder bewusst geworden, wie gut es tut, das Handy auf Flugmodus zu schalten, sich aktiv zu «langweilen» und später zu merken, dass man gar nichts Wichtiges verpasst hat. Probierts aus. Am besten gleich jetzt.


verfasst von Albi Christen
albi@clou.ch