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Hang Loose

Dienstag, 25. April 2023 | Muizenberg

Ich sitze im Studio Bolland in Muizenberg, Kapstadt, habe Kopfhörer auf und bin fokussiert bei der Arbeit, als ich im Augenwinkel wahrnehme, wie ein Surfbrett nach dem anderen aus der Wandhalterung verschwindet, wodurch sich mein Fokus langsam, aber sicher zum Ausgang richtet. Vier Jungs in Neoprenanzügen verlassen das Office in Richtung Meer, lachen freundlich und grüssen nochmal durchs Fenster: «Hang Loose». Für alle anderen im Studio ganz normal. Für mich, ein neuer Punkt auf der Liste mit Fragen an Agenturinhaber Richard.

Unser Austausch nach dem Mittag bringt Klarheit. Richard erzählt mir von New Hope SA, der Non-Profit-Organisation, für die er sich engagiert. Sie setzt sich für Obdachlose ein, holt sie von der Strasse, gibt ihnen ein Dach über dem Kopf und begleitet sie, zeigt ihnen Perspektiven und hilft ihnen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu gehört auch das Surfen, und Studio Bolland stellt den Programmteilnehmenden ihre Surfbretter zur Verfügung, schliesslich werden diese während der Arbeit nicht genutzt.

Ein Weckruf zum Handeln

Die Obdachlosigkeit ist in Kapstadt weit verbreitet. Rund 14’000 Menschen leben auf der Strasse. Notschlafstellen bieten gerade mal 3’500 Betten. Wer keines erwischt oder sich nicht mehr darum bemühen mag, schläft draussen.

Natürlich ist mir das nicht erst seit meinem Gespräch mit Richard aufgefallen. Schliesslich wird man täglich mehrmals damit konfrontiert. Und nachdem man ein paarmal Geld oder Essen in bettelnde Hände übergegeben hat, aber auch immer mal wieder die Strassenseite wechselt, um der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, beginnt man zu überlegen, wie man wirklich was bewirken kann. Jedenfalls habe ich mich das schon bald gefragt, und umso mehr freute es mich, Richard kennengelernt zu haben und mehr über sein Herzensprojekt und das soziale Engagement seines Motion Design Studios erfahren zu dürfen.

Auf den Wellen des Lebens

New Hope leistet wertvolle Arbeit und betrachtet alle Menschen gleich. Die Organisation setzt sich nicht nur für Obdachlose ein, sondern hilft auch, unsere Sichtweise zu ändern. Denn niemand sucht sich freiwillig aus, auf der Strasse zu leben. Niemand will das. Oft sind es plötzliche Schicksalsschläge, die einem den Boden unter den Füssen wegnehmen. Das Leben hat viele Parallelen zum Surfen. Du kannst die Wellen des Lebens reiten, zwischendurch auch mal umfallen, paddeln, wieder aufstehen, mit dem Brett unter dir eins sein und die Sonne im Gesicht geniessen. Die Arbeit kann als Paddeln betrachtet werden, die Wellen als Herausforderungen. Die Familie ist wie dein Surfbrett, ein stabiler Begleiter, der dich über Wasser hält. Alles cool, solange diese Elemente zusammenspielen. Aber was, wenn zu lange keine neue Welle kommt, wenn du der Strömung nicht gewachsen bist, du plötzlich auf einer Klippe aufschlägst oder dein Brett verlierst? Wie beim Surfen können uns unerwartete Schicksalsschläge aus dem Leben reissen. So erging es auch den Residents von New Hope. Plötzlich auf der Strasse lebend, haben sie vergessen, wie ein Surfer die Wellen zu lesen und haben sich einfach treiben lassen. Bei New Hope lernen sie wieder vorauszuschauen, die Höhen und Tiefen, die das Leben uns bringt, anzunehmen und darauf zu reagieren.

Das Leben ist voller Herausforderungen und unberechenbarer Wellen, aber es geht darum, niemals aufzugeben und die Hoffnung auf ein besseres Morgen zu bewahren. Obdachlosigkeit ist eine schwierige Realität, aber mit Entschlossenheit und Unterstützung können Menschen Wege finden, um aus dieser Situation herauszukommen und wieder festen Boden unter den Füssen zu gewinnen. Aus diesem Grund ermöglichen wir den Bewohnern auch das Wellenreiten, meint Richard abschliessend.

Und so hat New Hope auch meinen Blick auf Obdachlose verändert, weshalb ich mich nach Rücksprache mit meinem Team dafür entschieden habe, New Hope mit unseren Möglichkeiten unter die Arme zu greifen. Mehr dazu erfährst du in unserem Portfolio-Beitrag.    

 

verfasst von: Albi Christen.