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«F*** this!»

Mittwoch, 30. April 2014 | 11.00 – Manhattan

Nicht, dass es ohnehin schon kalt wär, nein, es regnet quasi ununterbrochen hier. Der Wetterumbruch hat mich richtig aus meinem bisherigen Flow gerissen. Hin und wieder arbeite ich immer noch im Office von Crossmedia. Schon vergangene Woche hab ich mir überlegt, wie ich mich bei all den netten Leuten im Office bedanken kann dafür, dass ich so willkommen bin. Die Idee dazu kam mir nach einem Besuch bei Max Brenner, einem gigantischen Schokoladenrestaruant unweit vom Büro entfernt. Dort gibt es alles aus Schokolade. Insbesondere Pizza. Einerseits, um mich zu bedanken, andererseits, um dem Klischee gerecht zu werden, sah ich diese Schokoladenvariante als ideale Überraschung für 30–40 Personen. Haken an der Sache, Max Brenner liefert nicht und so muss ich heute Morgen selber Pizzaboy spielen. Ich lasse die Pizzen per 10 Uhr bereitmachen, um sie pünktlich abzuholen und möglichst warm in die Agentur zu bringen. Als ich das Gebäude verlasse, regnet es in Strömen. Ich verstecke mich unter meiner Kapuze und schlängle mich durch die Massen in Richtung Union Square. Ich habe mir alles zurecht gelegt, um rechtzeitig da zu sein. Weil das Wetter aber nicht mitspielt und ich nasser und nasser werde, entscheide ich mich diese eine Station mit der Metro zu fahren.

Mein Verdacht, vielleicht in die falsche Bahn eingestiegen zu sein, erhärtet sich, als ich die Durchsage höre. Fuck this, sage ich mir, nächste Station raus, Treppe hoch, Treppe runter, andere Richtung wieder rein, Blick auf die Uhr. Fuck this, ich wär sowas von pünktlich gewesen! Zwei Stationen weiter wieder raus, Orientierung mit Google-Maps wiederherstellen, Kapuze auf und in grossen Schritten auf das Schokoladenparadies zu. Ich komme 5 Minuten zu spät, aber ich habe Glück, die Pizzen sind noch heiss. Ich entscheide mich, für den Rückweg ein Taxi zu nehmen und schaue kurz in welche Strasse ich mich am besten stelle, um auf möglichst direktem Weg zurückzukommen. Ich bezahle, greife mir die Pizzakartons und untergebe mich wieder dem Regen.

Gar nicht einfach, mit drei Pizzakartons von 70cm Durchmesser auf dem Arm, einem Taxi zu winken. Das wärs ja noch, wenn mir die Kartons in Schieflage gerieten und sich das ganze Topping aus flüssiger Schokolade, Marshmallows und Erdnussbutter in eine Ecke des Pizzakartons schleichen würde. So viele Taxis aber keines will einen patschnassen Typen mit drei Pizzakartons aufladen. Wenn die wüssten wie das duftet. Oh da, doch, da winkt einer. Ich springe auf das Taxi zu und versuche dabei nicht in eine der grossen Pfützen zu treten. Die Pizzakartons scheinen eine NY-Norm zu erfüllen, jedenfalls passe ich mit den Kartons gerade so rein. Der Taxifahrer begrüsst mich mit indischem Akzent: «Man, you gotta lotta piiiizza». Ich erkläre ihm, dass das lotta chocolatta pizza ist und biete ihm ein Stück an. Er lehnt dankend ab. Diabetiker, meint er. Jeder vierzigste Inder sei zuckerkrank. Oh, sag ich, das sind viele. Ich muss in die 23ste Strasse West. Der Taxifahrer muss mich enttäuschen. Er muss Richtung Osten. Nix mit Links abbiegen in der 23sten. Fuck this! Mir bleibt nichts anderes übrig, als in der 23sten auszusteigen und drei Blocks zu laufen. Es regnet unaufhörlich. Ich bezahle den Taxifahrer und er meint: «Wotcha da watta!». Ich verstehe nicht, bedanke mich, öffne die Tür und setze meinen rechten Fuss auf die Strasse. Fuck this, jetzt versteh ich. Ich ziehe meinen Schuh voll Wasser zurück, schenke dem Taxifahrer ein falsches Lachen, schnappe mir die Pizzen und steige höchst umständlich aus, um nicht erneut in den Fluss zwischen Taxi und Bordstein zu treten.

Fuck this! Jetzt kommt’s auch nicht mehr drauf an. Und so renne ich im Slalom um Menschen und Pfützen die 23ste Strasse lang. Meine Lieferung wird von Schritt zu Schritt schwerer. Ich kann sie nicht einfach unter den Arm nehmen, sondern halte sie so gut es geht waagrecht vor mir. Der oberste Karton scheint komplett durchnässt aber es fühlt sich alles noch warm an, als ich vor der Tür unten ankomme. So schnell wurde mir noch nie geöffnet. Meine Arme und Beine sind am Ende. Ich schleppe mich die Treppen hoch. Mein Herz pocht und ich schwitze unter der nassen Jacke. Im Office angekommen trockne ich den obersten Karton notdürftig und öffne die erste Schachtel. Fuck …yeah! Alles noch an seinem Platz. Der Duft von Schokolade verbreitet sich und total fertig verkünde ich die süsse Neuigkeit: «Grab yourself a piece of happiness! It’s still warm!» So macht man New Yorker glücklich, sag ich euch. Wenn die wüssten, was ich gerade durchgemacht habe dafür, die würden mich nicht mehr gehen lassen. Ich hänge meine triefend nasse Jacke auf, schnappe mir ebenfalls ein kleines Stück und gehe zufrieden «pf» an meinen «pf» Platz «pf». Ich lasse mir «pf» nichts «pf» anmerken. Es ist mein rechter Schuh, der «pf» macht. Fuck this! Ich setze mich, gönne mir einen Bissen von der verlockend duftenden, noch immer warmen Schokoladenpizza und google: diabetes indien.

 

verfasst von: Albi Christen