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Raus aus der Agentur und rein in den Pool.

Sonntag, 7. Mai 2017 | Dénia

Rauszeit an der Costa Blanca. Arbeiten mit der Sonne im Gesicht und den Füssen im Pool. Eine herrliche Vorstellung. Dabei bleibt es aber, so verlockend es auch tönt. Mit dem Laptop an der Sonne - das brauch ich euch eigentlich gar nicht zu sagen - ist nicht wirklich praktikabel. Im Pool erst recht nicht. Jedenfalls nicht auf Dauer. Inszeniert hab ich’s trotzdem. Ich fand die Vorstellung witzig und wollte selber wissen, wie das rauskommt. Auf dem Bild nicht zu sehen ist, dass meine Wasserliege Luft verliert und der Pool zum Verweilen noch ein paar Grad zu kalt ist.

Jetzt aber noch mal zurück auf Anfang. Meine Rauszeit begann eigentlich noch in Luzern. Damit meine ich die erste inspirierende Geschichte. Im Zug zum Flughafen setzte ich mich zu einem älteren Mann ins Abteil. Er nickte mir freundlich zu, als ich ihn fragte, ob da noch ein Platz frei sei. Ziemlich vermessen eigentlich die Frage, stand ich doch da, mit meinem Rucksack und einem Koffer, der zu gross war für das Gepäckfach zwischen den Sitzen. Der Mann eröffnete das Gespräch mit einem Kompliment für meinen Hut. Nachdem ich mich bedankt hatte, ergänzte er: «Hüte sieht man fast nicht mehr heute. Nur noch im Zirkus». Ich musste lachen und noch bevor ich den Gedanken machen konnte, ergänzte er: «Eigentlich sollte ich einen Hut tragen. Um meine Glatze zu verdecken.». Wir stellten uns vor und ich sprach ihn auf seinen ETH-Anstecker, den er am Kragen trug, an. Dr. Satish Joshi ist Indo-Schweizer, wie er sich selbst nennt. In-der-Schweiz-lebender Inder bzw. eben eigentlich nur noch Schweizer, weil Indien keine doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert. Satish hielt soeben ein Referat an der Hotelfachschule Luzern. Er agiert als Vermittler zwischen den Kulturen und räumt mit Vorurteilen auf. Die Studierenden der Hotelfachschule lehrt er z.B., dass Inder, die in die Schweiz kommen, immer auch Geld ausgeben wollen. Wenn sie z.B. nur vegetarisches Essen bestellen, tun sie das nicht, weil sie sparen wollen, sondern weil sie schlicht kein Fleisch möchten, was viele Gastronomen falsch interpretieren. Umsatz machen, lässt sich mit den Gästen aus Indien trotzdem. Sie trinken z.B. gern. Also lasst sie ihr Gemüse essen und verkauft ihnen mehr Whisky-Soda, erklärt Satish. Ein weiterer Fakt: Inder beneiden uns um die Trinkwasserqualität unseres Leitungswassers. Wieso also für Wasser, abgefüllt in Flaschen bezahlen? Das können sie nicht verstehen. Schenkt ihnen Leitungswasser aus, soviel sie wollen und betont es mit «for Free». Die Worte «for Free» sind Balsam für ihre Seele, weiss Satish. Daraufhin könne man ihnen gut noch mal einen Whisky verkaufen. Das und mehr lernte ich in diesem rund 30-minütigen Crashkurs.

Der Rest meiner Reise verlief unspektakulär. Ein paar Mails vom Flughafen aus, 5min Verspätung, den Flug überbrückt mit dem Dokumentarfilm The Minimalists, pünktlich angekommen in Valencia, Auto gemietet und vom Navi geleitet ab nach Dénia. Hier bin ich nun seit 4 Tagen in einem Häuschen am El Montgo mit Blick auf Stadt und Meer. Das Städtchen Dénia, das hauptsächlich vom Tourismus lebt, ist noch ruhig. Die Hochsaison beginnt erst noch - zum Glück. Angenehm warm ist es trotzdem schon und wenn es nicht gerade windet, lässt es sich gut im Schatten auf der Veranda arbeiten.

Diesen ersten Bericht verfasse ich im Städtchen, am Sonntagabend, nach dem Nachtessen. Es ist ruhig. Die letzten Sonnenstrahlen streifen die Dächer der kleinen bunt aneinander gereihten Häuser. Während mich meine bisherigen Rauszeiten in New York und Berlin mit Eindrücken überfluteten, scheint es so, als könne ich mir hier Zeit nehmen und mir aussuchen, von was ich mich beeindrucken lassen will. Kaum hatte ich diesen Gedanken abgeschlossen, fällt mir eine Frau im Fifties-Look auf, die einen Lautsprecher schleppend, auf die Plaça de Mariana Pineda schreitet, wo sie von ihren Freunden bereits erwartet wird. Kurz darauf ertönt Sympathique von Pink Martini, in einer Lautstärke, wie man sie bei uns am Sonntagabend verbieten würde. Mir soll's recht sein. Die Gruppe startet kurzerhand einen Lindy-Hop-Tanzabend und der Platz füllt sich. Mal schauen, vielleicht bring ich meinen verklemmten Schweizer-Arsch ja noch zum tanzen.


verfasst von: Albi Christen