Hackln in der Hauptstadt


Ein Monat Wien – vorbeigeflitzt, wie ich auf meinem «Radl» durch die Quartiere der österreichischen Hauptstadt. Jetzt am Ende meiner Rauszeit blicke ich zurück auf einen erlebnisreichen Monat und zeige euch, wo ich gelebt, gearbeitet und vor allem gegessen habe.
Meine vier Wochen in Wien waren eine entspannte Sache. «Warum eigentlich Wien?», wurde ich am Anfang oft gefragt. Klar war, ich wollte in Europa bleiben. «Schön süferli» vorgehen, dachte ich mir. Schliesslich war es meine erste Rauszeit – so eine Gelegenheit muss man gut auskosten. Der Deal mit dem Konzept «Rauszeit» sollte mittlerweile allen klar sein. Einen Monat lang von irgendwo auf der Welt aus arbeiten, um Inspiration zu tanken, aus dem Alltag auszubrechen und die geliebte Komfortzone zu verlassen. Für diejenigen, die Clou kennen, ist das nichts Neues. Doch die alpinen Nachbarn, denen ich davon erzählte, kamen vor Neid gar nicht mehr klar. Aber zurück zur Frage, warum ich mich für Wien entschieden habe: Ich konnte die Sprache, mochte grosse Städte und vor allem hatte ich in Wien bereits ein paar Connections.
Zu Hause in der Stumpi
Als Erstes galt es, für den August eine Bleibe zu finden. Airbnb in Luzern hassen und im Ausland gönnen – wenn’s geht, bitte nicht. Deshalb probierte ich mein Glück und suchte ein WG-Zimmer. Dank Insta heute gar kein Problem. Gefragt, Story geteilt und zack hat man ein paar Bewerbungsgespräche. Ich hatte sogar die Qual der Wahl, entschied mich aber doch gegen die Wiener Grafiker:innen WG (bisschen Ruhe am Feierabend muss sein) und sagte einer Kollegin zu, die in Wien Kunstgeschichte studiert hatte und ihr WG Zimmer aufgab. Eine gute Entscheidung, wie sich bei der Ankunft später herausstellte. Glaubt mir, nach 9 Stunden ÖBB-Psychose (wieso reservieren nicht einfach alle ihren Sitzplatz?!?) war ich gottesfroh, dass die Mitbewohnis mich herzlich in ihrer Wiener WG an der Stumperngasse, «Stumpi», wie sie liebevoll sagten, aufnahmen.
Die Wohnung war klassischer Wiener Altbau und neben mir hätte locker noch eine mittelgrosse Giraffe einziehen können. Ein 15m2 grosses Zimmer mit 3,5 Meter (!) hohen Decken für 400 Stutz geht auch nur in Wien. Als ich dann am Abend in meinem Hochbett lag, nahm ich mir nochmals richtig fest vor, die Zeit hier voll auszukosten. Und es begann gleich am ersten Abend in der WG. Meine Mutter wird schockiert sein, wenn sie das liest, aber ich lernte «Schnappsen». Nicht saufen – das ist ziemlich easy. Nein, ich lernte Schnappsen, das österreichische Jassen, noch bevor ich je mit meiner Mom gejasst habe. Holen wir aber nach, weil im Grunde ist’s halt fast dasselbe, nur mit ulkigen Begriffen. Ich genoss meine Zeit mit der WG am ersten Wochenende sehr, denn danach verabschiedete sich ein Mitbewohner auf Filmreise für den Rest meiner Rauszeit.

Community-Feeling im Ropa
Doch eine Rauszeit ist nicht nur Fun and Games, wie viele meinen. Nein, man muss auch zünftig «hackln». Fast so hart wie die Bauarbeiter, die vor unserer Wohnung die Strasse aufrissen, um Begrünungen möglich zu machen. Hat Wien bitter nötig, denn mein erster Arbeitstag begann mit einer angekündigten Hitzewarnung von 33 Grad. Zum Glück war es morgens in der U-Bahn auf dem Weg zum Rochusplatz noch angenehm kühl. Dort war mein Coworking namens «Rochuspark», auch Ropa genannt.
Am Ropa empfing mich Mike der Founder des Coworkings. Er zeigte mir alles und ich war überwältigt. Das hier hatte nichts mit WeWork-Cringe zu tun – hier gab es wirklich eine echte Community. Im Ropa arbeiten rund 50 freischaffende Informatikerinnen, Architekten, Marketing-Dudes und, ach was weiss ich. Auf jeden Fall alles Leute, die auch bei uns an der Mythenstrasse 7 reinpassen würden. Nur halt, dass sie bei uns literally nicht reinpassen würden, da unsere Coworking-Box zu tiny dafür ist. Hier hingegen gibt’s Arbeitsplätze auf zwei Stöcken, einen Sportraum für Übermotivierte, mehrere Sitzungszimmer und so schalldichte Kabinen, in denen ich meinen Schweizer Dialekt im geschützten Rahmen brauchen konnte, ohne gleich aufzufliegen. Und falls ich spontan das Bedürfnis gehabt hätte, ein Liebeslied für die Donaustadt aufzunehmen, hätte ich das auch machen können, denn die hatten einfach ein Aufnahmestudio mit allem Drum und Dran. Ich war beeindruckt.
Bereits am ersten Abend feierten wir meine erste Party, ich erhielt eine nicht enden wollende Liste an Orten, die ich sehen musste und verabredete mich zum Joggen im Prater Park. Da hatte Mike nicht zu viel versprochen, als er mir seinen Businessplan für den Ropa herunterbrach. Er vermietet dir hier nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern gibt dir auch einen Platz in einer Community. Nun war alles gesetzt, ich hatte ein Zimmer und einen Arbeitsplatz. Jetzt galt es, das meiste aus meiner Rauszeit hier herauszuholen.
Auf dem Radl und ohne Fensterplatz
Beginnen wir mit dem Thema Mobilität, denn ich war ur viel unterwegs. Auf dem ersten Platz lag eindeutig: zu Fuss unterwegs sein. It showed, dass sich mein super kurzer Arbeitsweg in Luzern, auf meine Laufkondition ausgewirkt hatte. Denn im Gegensatz zu zu Hause kam ich hier auf rund dreimal so viele Schritte. Das war btw. auch eine gute Ausrede, um mir hier neue Schuhe zu kaufen. Ich liebte es also die Stadt zu Fuss zu erkunden, vor allem als es gegen Ende der Rauszeit ein wenig kühler wurde. Doch meine Treter waren dicht gefolgt vom «Radl» als liebstes Fortbewegungsmittel. Zuerst wollte ich mir eines auf «willhaben» kaufen, dem Wiener Äquivalent zu Ricardo. Doch dann entdeckte ich die Nextbike-Station gleich ums Eck. So kam es, dass ich oft einfach radeln ging – auf die Donau Insel und durch die umliegenden Bezirke. Wien ist ziemlich fahrradfreundlich. Angehupt wurde ich nur einmal und das war ehrlich gesagt mein Bock.
Auf dem letzten Platz der Mobilitäts-Rangliste, aber nicht zu unterschätzen, die Wiener Linien. Schon toll so ne U-Bahn. Für 60 Euronen kann man hier alle Öffis unlimitiert nutzen. Und das habe ich. Alle Bahnlinien sind abgehakt. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Wiener im Viererabteil irgendwie nicht nachrutschen. Die gatekeepen immer den Fensterplatz. Komische Sache, vielleicht macht’s schon Sinn, wenn man sagt, die Wiener seien wie die Zürcher.
Von «Heurigen», «Beisl» und «Schnitzels»
Wer viel herumdüst, braucht auch Energie. Next up: Kategorie «Food». Ich habe mich richtig durch die Küchen der ganzen Welt gegessen. Die Rauszeit muss gar nicht weit weg sein, exotisches Food gibt’s auch in Wien. Da ich, wie oben beschrieben, die ganze Zeit auf Achse war, hatte ich kaum Zeit zum Kochen. Deshalb ging’s gefühlt immer ins Restaurant. Auch hier gab es drei Küchen, die aufs Podest kommen.
Auf dem dritten Platz: italienisch. Weil die Disco Pizza gleich um die Ecke lokalisiert war, war das oft ein «Boah, ich bin so erschöpft vom Tag»-Treat, um mich vom Gedanken abzulenken, dass halt auch hier strenge Tage existierten und ich nicht einfach rumchillen konnte. Zudem gab mir die Pizzeria, die gar nicht wirklich Disco Pizza, sondern «Disco Vollante» hiess, das Gefühl, zu Hause zu sein. Denn ihr Theme war wie bei meiner Stamm-Pizzeria in Luzern: Disco. So hatte das Teil auch einen riesigen Disco-Ball als Ofen… sehr inspirierend.
Auf dem zweiten Platz kam asiatisch. Dank der Tipps meiner Coworker, meiner WG, und der Wiener Zeitung «Der Falter« bin ich ur oft in koreanische, japanische oder chinesische «Restes» gegangen. Auch hier: Das «fuhret» gut für all die Kilometer, die es zu Fuss oder per Radl zu bewältigen galt.
Aber Number One war ganz klar wienerisch. Am liebsten war ich am «Heuriger». Das sind so «Beisl», die am Stadtrand auftauchen und bei denen der Wein der neusten Ernte ausgeschenkt wird. Zum Konzept gehörten auch eine sehr einfache Karte und Selbstbedienung. Vor allem am Heuriger spürte ich, dass ich trotz der Grossstadt und der vielen Kulturen noch immer in Österreich war. Es war ein lustiges Gefühl, so vom Yppenplatz in den Heurigen nach Döbblingen zu fahren. Auf jeden Fall habe ich einiges an «Schnitzels» gegessen. Ob Classic Wiener Schnitzel, nach Milanese Art oder doch eine gebackene Fledermaus, alles habe ich probiert. Sogar ein Schnitzel-Semmel gab’s mal für den Semmel.


Kunst, Kultur und ganz viel Kino
Ihr dürft jetzt nicht das Gefühl haben, dass ich nach der Arbeit nur Völlerei betrieben habe. Nein, als Teil der kreativen Laptop-Klasse durfte natürlich eine Weiterbildung in Kunst und Kultur nicht fehlen. Obwohl ich mich eigentlich null aktiv darum bemüht habe, irgendwelche korinthischen Säulen, ripped Statuen oder vergoldeten Stuck zu sehen, habe ich trotzdem einiges an hübschen Baustoffen und Denkmälern gesehen. So besuchte ich die Otto-Wagner-Kirche am Steinhof und genoss den wunderbaren Ausblick über die Stadt. Nice war auch, dass das Haus Wittgenstein gleich um die Ecke vom Coworking lag. Sissys Crib sah ich per Zufall unterwegs mit dem Nextbike. Generell ist jeder doof, der sich dort diese speziellen Häuser anschaut, weil im Vergleich zu unseren Häusern literally jedes zweite Haus sehr ausgefallen und schön ist.
Apropos schön: Als Kultur-Connaisseur hat mir auch die Vielzahl an kleineren und grösseren Museen gefallen. Besonders gut haben mir das Literaturhaus (nicht nur weil schön kühl!), die Wasser-Ausstellung im MAK Museum oder die Hirst-Ausstellung in der Albertina gefallen. Was ich hingegen nicht so cool fand, war die Secession. Denn obwohl das Gebäude so ein schönes goldenes Dach hatte, das ich beim Vorbeifahren immer bestaunte, staunte ich drinnen irgendwie nicht mehr so. Die Wandgemälde hoch oben holten mich nicht ab. Dafür durfte ich in vielen anderen Sälen staunen. Und zwar in Kino-Sälen.
Ich ging ur viel ins Kino. Und wer jetzt denkt, «He, das gehört doch eher in die Sparte Entertainment statt Kunst und Kultur!», liegt falsch. Kinos sind in Wien nicht am Aussterben, sondern hoch im Kurs. Ich war im Admiral-, Metro-, Gartenbau-, Burg-, Schikanier- und Filmcasino-Kino. Die Kinos waren alle so schön und alt. Man begab sich auf eine kleine Zeitreise, wenn man sich an den alten Schaltern ein Ticket kaufte und sich in die mit Stuck verzierten Hallen setzte.
Immer was los
Jetzt könnte es so scheinen, als hätte ich einfach nur in Kinos gechillt. War ich einsam und hatte keine «Hawara» um mich herum? Nein, ich habe meine Zeit immer mit vielen Leuten verbracht. Am meisten natürlich mit den feinen Leuten im Coworking. Lohnarbeit bleibt Lohnarbeit, und so war ich halt 4 von 7 Tagen am hackln. Obwohl die Leut im Coworking ein Sommerloch hatten und deshalb oft lange Kaffeepausen machten und sehr interessiert daran waren, mit mir zu quatschen, war ich halt oft an den Schreibtisch gebunden. Zu Beginn der Rauszeit wurde wegen eines Pitchs nichts aus den geplanten 6 Stunden Arbeit, was von den entspannten Wienern mit Verwunderung registriert wurde. Aber was gemacht werden musste, musste halt gemacht werden. Dafür hatte ich in meiner Freizeit eine super Zeit mit meinen neuen Bekanntschaften.
Mit meiner WG machte ich Ausflüge zu überwältigenden Battle-Rap-Konzerten, an Seen wie Flüsse, trotzte der Hitze mit «Spritzers» oder hängte einfach mit den Friends meiner WG im Park ab. Irgendjemand hatte immer etwas los und ich wurde miteingeladen. Zudem hatte ich das Glück, dass meine Mitbewohner, die versetzt anwesend waren, ihre Zimmer zur Verfügung stellten, wenn ich Besuch hatte. So besuchte mich mein Freund, der selbst schon ein halbes Jahr in Wien gearbeitet hatte und zeigte mir aus reiner Erinnerung (!) die Stadt aus seinen Augen. Kurz, ich hatte eine tolle Zeit mit den Leuten vom Coworking, mit der WG und deren Friends und natürlich auch mit den Menschen, die mich besucht haben.
So intensiv habe ich schon lange nicht mehr gelebt. Ich habe mich schon fast auf die 9 Stunden stillsitzen auf der Heimfahrt gefreut (gonna regret this line…) und werde meine neu gewonnenen Erfahrungen, Friends und Inspirationen mit nach Hause nehmen.
Mach’s gut Wien. Ich komm bald wieder!
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